Projekt "Süß oder sauer?"






GEWINN DURCH VERZICHT

Zu den neuen Bildern von Marina Krasnitskaya


Die aus Leningrad / St. Petersburg gebürtige Malerin Marina Krasnitskaya lebt seit 2012 in Bremen. Sie stammt aus einer Bildhauer-Familie und bringt aus ihrem Studium an der Werkkunst-Akademie „W.I. Muchina“ in St. Petersburg solide Kenntnisse auf den Gebieten des figürlichen Zeichnens und Malens mit. In den Monaten des Lockdowns hat sie sich mit einer Reihe großformatiger Gemälde zu neuen ästhetischen Ufern aufgemacht. Ihre vielfältigen zum Teil träumerisch-fantastischen Kompositionen sind seit Jahren grundiert mit metallischen Hintergründen, die sie in einem komplizierten Verfahren aus oxydierten Folien (Eisen, Kupfer und Goldbronze) gewinnt. Durch gezielt gesteuerten Einsatz von Säurebädern wird dabei das zuvor hell blinkende Metall ins Gebrochene, Düstere und Geheimnisvolle gedrängt, wobei durch nachträgliches Bürsten der Flächen einzelne Partien der metallischen Folie neu aufschimmern, andere im Dunkel bleiben.



Bisher dienten ihr solche sozusagen „abstrakt“ gewonnenen Farbschichten und Materialqualitäten in Erd- und gebrannten Siena-Tönen als willkommene, gut kontrastierende Schauplätze für ihre figürlichen Inventionen, bei denen sie vorwiegend weibliches Personal einsetzte.

Je vertrauter sie aber mit der Verwendung der eloxierten Grundierung wurde, umso deutlicher fiel ihr auf, dass in dieser gleichsam anonym irisierenden Technik viele subjektiv steuerbare Methoden stecken, deren eigenständige Wirkungsmacht sie lange schlicht vernachlässigt, bzw. übersehen hatte. So begann sie, eine neue Werkgruppe ins Auge zu fassen, in der sie sich ganz den Wirkungen und Anmutungen dieser Technik überlassen wollte. Die ersten Ergebnisse der Expertise können sich sehen lassen. Durch den Verzicht auf das vordergründig Aufmerksamkeit fordernde Figuren-Personal ist sie auf neues bildnerisches Terrain vorgestoßen. Was bisher in der Tiefe der Hintergründe eher versank, tritt plötzlich in eigenartiger Schönheit selbst in den Vordergrund, wenn man in den neuen, eher an die Formensprache des „Informel“ erinnernden Kompositionen von Vorder- und Hintergrund überhaupt noch reden kann.


Die bislang nur dienende Bild-Haut selbst ist plötzlich zum reizvollen Thema ihrer Werke geworden. In verschiedenen, manchmal weich verschwimmenden und dann wieder kubistisch- mineralisch sich verfestigenden All-Over-Strukturen kann das Auge des Betrachters ungestört und frei über vielfarbig beruhigte Oberflächen wandern, die den subjektiven Tagträumen des Betrachters Raum in alle Richtungen gewähren. Erst jetzt kann man die vielfältigen Ergebnisse der immer wieder unterschiedlich behandelten metallischen Gründe unverstellt genießen und ästhetisch angemessen würdigen.

Interessanterweise stellen sich nun ganz andere Assoziationen bei Betrachter ein als bei Marina Krasnitskayas früheren Bildern. Zunächst sind es räumlich-landschaftliche Wirkungen, die sie dem schimmernden Untergrund abgewinnt. Da die verwendeten Folien orthogonal zugeschnitten sind, rücken sie natürlich zunächst zu regelmäßig gegliederten Formationen zusammen, die an Eingriffe in die Natur erinnern, z.B. Steinbrüche oder untertage freigelegte Wände. In den Unregelmäßigkeiten der scheinbar aus unterschiedlichen kubischen Körpern bestehenden Bildfläche kommen das tiefe Kupferrot, das helle Stahlblau, der Rost und das zarte Silber des Aluminiums auf feinste orchestriert zur Geltung.

In weiteren Bildräumen erscheint das kantige konstruktive Gerüst des Grundes von einer wie von Moosen und Flechten gepolsterten, aus wässrigen Sedimenten organisch gewachsenen Flächigkeit überlagert zu werden. Da kommen lebhaft atmende Formen zum Vorschein, die an Jean Dubuffet, Pierre Soulages und andere klassische Informel-Künstler denken lassen. So hat Krasnitskaya nun die zunächst eher harten metallischen Untergründe verlassen, deren Bildfunktion darin bestand, dass sich ihre Figuren im Kontrast abstoßen konnten. In der Hinwendung zu verführerisch weichen, feinstofflich- nachgiebigen Geflechten und Dickichten hat sie sich neuen Bildlandschaften angenähert.

Dabei folgt die Künstlerin nirgends programmatisch-dogmatischen Setzungen, sondern lässt sich grundsätzlich nach wie vor von frei-kreativen Betrachtungen leiten. Dabei kommen sowohl runde als auch dreieckig-diagonale Formen und Dissonanzen ins Spiel, wenn etwa aus dem weichen Milieu geradezu metallisch scharfe Formen auftauchen und das Gebaute, immer auch Künstliche der subjektiven Komposition neu reklamiert wird. Das lange unterschätzte Material Metall mit seinen reflektierenden Qualitäten hilft der Künstlerin auf überraschende Weise, nicht nur schöne Glanzlichter auf die Arbeiten zu bringen, sondern geheimnisvoll erhellte Zonen, gleichsam Lichtungen aus Silbergrau im Verschatteten anzulegen. Dies lässt gerade durch seine Einfachheit die Werke als wertvoll illuminiert erscheinen.


Die Abkehr von der Figuration und die Rückkehr zur Abstraktion erscheint verbunden mit dem Neugewinnen von gestalterischer Annäherung an Grundprinzipien natürlichen Wachstums und elementarer Gestaltung von Kreisläufen, wie wir sie überall in der Schöpfung beobachten können. Wer einen Blick auf die aus Silberblech fein ziselierte russisch-orthodoxe Madonnen-Ikone aus dem Familienerbe wirft, die im Atelier auf dem Tisch liegt, kommt nicht umhin, darüber nachzudenken, ob Marina Krasnitskaya sich mit ihren neuen Bildern sowohl ein Stück „westlicher Freiheit“ hinzugewonnen, als auch ein Stück lebendiger „östlicher Erinnerung“ an ihre Petersburger Heimat zurückerobert haben mag? So würde sich auch eine alte bildnerische Faustregel bewahrheiten: weniger ist letzten Endes mehr, kluge Selbstbeschränkung führt zu größerer Freiheit, der Verzicht auf vordergründigen Realismus wird durch einen beglückenden Zugewinn von bisher verborgener, hintergründiger Qualität belohnt.

Rainer B. Schossig



"Malerei ist kein Hobby, kein Beruf oder Leidenschaft. Sie ist mein Doppelgänger, mein Gewissen, mein zweites Ich", sagt Malerin Marina Krasnitskaya über die tägliche Auseinandersetzung mit ihren Ideen und künstlerischen Visionen.

Die gebürtige Russin lebt und arbeitet seit 1994 in Deutschland. Neben ihrer Arbeit als Grafikerin und Webdesignerin pflegt sie in ihren Malereien die klare, russische Formensprache und die Volkskultur und entwickelt sie weiter. Die kubistisch bis phantastisch umgesetzten Motive erinnern auch wegen ihrer Farbigkeit an berühmte Künstler des Landes wie Malewitsch oder Chagall. Krasnitskayas von einer traumhaften Aura umgebenen Gemälde setzen der russischen Märchenkultur und -symbolik ein zeitgenössisches Denkmal.

Quelle: arsmundi
Gemälde von Marina Krasnitskaya als Kunstdrucke.
Exklusive Fine Art Print Edition. Limitierte Auflage.